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Grafik: TSEW

Über Mauern springen

Leitartikel

Aus der Printausgabe - UK 25 / 2022

Gerd-Matthias Hoeffchen | 20. Juni 2022

Synoden: In diesen Tagen beraten wieder die Abgesandten aus Gemeinden, Klassen und Kirchenkreisen über den zukünftigen Weg der Kirchen. Respekt.

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Was mache ich eigentlich hier? Diese Frage haben sich wohl schon alle gestellt, die in Ausschüssen, Arbeitsgruppen, Kirchenvorständen oder Presbyterien mitwirken. Neulich erst war das der Stoßseufzer, den eine liebe Bekannte ausstieß, bevor sie aufbrach, um die nächsten Tage als Abgeordnete bei einer Landessynode zu verbringen.

Stundenlange Sitzungen, manchmal bis tief in die Nacht. Akten wälzen. Berichte durchackern. Haushaltspläne verstehen. Vortrag um Vortrag aushalten. Grußwort um Grußwort. Was mache ich eigentlich hier? Man braucht schier unendliche Geduld. Ganz viel Diplomatie. Kondition. Und richtig gute Nerven.

Und wofür das alles?

„Ich versteh nicht die Hälfte von dem, was da in den dicken Akten steht“, klagt ein Freund, der seit Jahrzehnten bei Kirchenvorstand und Synoden mitwirkt. Dazu kommt der Frust, seit Jahren gefühlt nur noch Rückgang und Rückbau abwickeln zu müssen. Wo bleiben die Aufbrüche? Die Visionen? Begeisterung? Die gibt es. Zum Teil ganz erstaunliche Projekte, Initiativen und Gottesdienstformen, für die man nur dankbar sein kann. Aber insgesamt drohen auch sie in der Stimmung unterzugehen, die durch all die Probleme und Herausforderungen entsteht, und die sich wie Mehltau übers Gemüt legen kann: Mutlosigkeit. Und als ob das alles nicht genug wäre, kam Corona wie ein Dampfhammer, der viele gute Ansätze und Ideen platt machte oder mindestens um Jahre verzögerte. Auch, wenn auf der anderen Seite gerade im digitalen Bereich Neues aufblühte und Schule machte.

Deshalb sei an dieser Stelle allen Respekt und Dank ausgesprochen, die sich trotz und manchmal sogar WEGEN all dieser Herausforderungen das antun: die Ärmel hochkrempeln. Eine Kanne Tee auf den Tisch stellen und dazu manchmal auch eine Tafel Schokolade. Und dann diese Frage aushalten: Was mache ich eigentlich hier?

Denn sie sind ein Segen. Ohne sie, die Presbyterinnen und Presbyter, die Synodalen und die Ausschussmitglieder, könnte Kirche als organisierte Form der Gemeinschaft der Glaubenden nicht funktionieren. Jedenfalls nicht, wenn man den Anspruch hat, Kirche als Demokratie und „Priestertum aller Glaubenden“ zu verstehen. Nichts davon mag perfekt sein. Manches mag an den Rand der Verzweiflung bringen. Aber was wäre die Alternative?

Sie sind ein Segen. Und deshalb sei ihnen auch Segen gewünscht und zugesprochen. Und Mut, Neues zu wagen. Nicht allein auf Zahlen zu sehen, so notwendig das ist; aber sich nicht davon gefangen nehmen und lähmen zu lassen. Analysis paralysis, sagt man im Englischen (sinngemäß: Untersuchungen lähmen), wenn das Starren auf Erhebungen frisches Entscheiden und fröhliches Wagen verhindert oder gar unmöglich macht.

Hätten die Menschen, die in den ersten Jahrzehnten Jesu Weg gefolgt sind, sich von Zahlen und statistischen Prognosen einschüchtern lassen – das Christentum hätte wohl keine Chance gehabt. Was sie, die ersten Christinnen und Christen, leitete und ihnen Kraft und Mut gab, war die Erwartung: Man darf auch mal mit dem Guten rechnen; nicht immer nur mit dem Schlechten. Und Schlechtes gab es für die Christen in jenen Tagen wahrlich mehr als genug.

Denn auch das zeigt der Blick auf die Anfänge des Christentums: So schlecht geht es uns heute dann doch noch nicht. Mag der gefühlte Eindruck oft ein anderer sein (siehe oben)… noch hat die Kirche Möglichkeiten und Perspektiven, Kraft und Geist. Und Glauben. Und eben: Sie hat engagierte Menschen, die bereit sind anzupacken.

Man muss auch mal Träume zulassen. Man darf auch mal das Gute erwarten. Und, weil es ja ums Rechnen geht: Man darf auch mit Gott rechnen.

Mit meinem Gott kann ich über Mauern springen, heißt es in der Bibel (Psalm 18,30). Möge diese Kraft und diese Zuversicht das Herz all jener füllen und ihnen eine Antwort geben, wenn sie sich mal wieder fragen: Was mache ich eigentlich hier?

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