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Unterstützung für queere Menschen
Ehrung
Nicole Richter | 10. November 2021
Preis für feministische Theologie geht an Kerstin Söderblom
Die Pfarrerin Kerstin Söderblom hat gerade den mit 3000 Euro dotierten Leonore-Siegele-Wenschkewitz-Preis 2021 für ihren Beitrag „Queer theologische Notizen“ erhalten. Die feierliche Verleihungszeremonie folgt jetzt am 7. November in der Evangelischen Akademie Frankfurt am Main. Mit Nicole Richter spricht sie über queere Theologie und queeres Denken.
Herzlichen Glückwunsch zu Ihrem Preis. Worüber haben Sie in Ihrem Beitrag geschrieben? Erzählen Sie uns von Ihren „Notizen“?
Kerstin Söderblom: In den queer theologischen Notizen habe ich meine Blogbeiträge aus den Jahren 2015 bis 2020 veröffentlicht, die ich im Online-Magazin evangelisch.de in der Rubrik „kreuz & queer“ geschrieben habe. Schwerpunkte im Buch sind Bibelinterpretationen aus queerer Sicht, biographische Porträts und Essays zu gesellschaftspolitisch und international relevanten Ereignissen. Entstanden ist ein Sammelband, der queere Anliegen aus christlicher Perspektive und christliche Positionen aus queerer Sicht diskutiert.
Was genau ist Queere Theologie? Was macht queeres theologisches Denken anders als feministisches?
Queer war zunächst ein Schimpfwort, mittlerweile ist es ein selbstgewählter Begriff für Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans*- und intergeschlechtliche (LSBTI) Menschen. Ihre Lebensformen und Geschlechtsidentitäten werden oftmals auch in feministischen Beiträgen nicht „mitgedacht“. Insofern tragen queere Menschen ihre eigenen Sichtweisen und Erfahrungen in die Debatten ein, auch in theologische. Dadurch werden Horizonte erweitert, dualistische Kategorien von homo und hetero, schwarz und weiß, männlich und weiblich erweitert und andere Stimmen gehört.
Die Laudatio auf Sie hält die emeritierte Professorin für Feministische Theologie und Gender Studies an der Augustana-Hochschule Neuendettelsau, Renate Jost. Wie wichtig sind weibliche Vorbilder in Ihrer Biographie?
Sie sind sehr wichtig. Für mich gehören meine Mutter und meine Oma dazu. Denn beide waren und sind starke Persönlichkeiten, die mich ermutigt haben, meinen eigenen Weg zu gehen. Für mich persönlich sind auch die beiden Autorinnen Audre Lorde und Adrienne Rich aus den USA bedeutsam. Beide haben bereits in den achtziger Jahren einen sehr weiten Blick auf das Thema „Zwangsheterosexualität“, wie sie es damals nannten, gehabt. Rich war jüdisch, weiß und verheiratet, Lorde war christlich, schwarz und kam aus der Karibik. Sie war Mutter von vier Kindern und lesbisch. Diese Verbindung von ganz unterschiedlichen Lebensthemen hat mich bereits als junge Studentin fasziniert und mich ermutigt, gesellschaftliche Herausforderungen jenseits von Schubladen zu denken.
Seit 1990 sind Sie Mitglied im Netzwerk Labrystheia, einem Ökumenischen Netzwerk für lesbische Theologinnen. Braucht es so ein Netzwerk heute noch?
Ich sage mal so: Heute würden wir ein solches Netzwerk vermutlich nicht mehr gründen. In den letzten 30 Jahren hat sich die Situation zumindest im deutschsprachigen Raum sehr verbessert. Allerdings ist die Auseinandersetzung mit kontextuellen Theologien weiterhin wichtig. Lesbisch-feministische und queere Ansätze gehören dazu. Und die Perspektiven gerade von jungen queer-feministischen Frauen werden im kirchlichen Umfeld weiterhin zu wenig wahrgenommen. Insofern helfen solche Netzwerke, sichere Räume anzubieten, in denen Frauen sich persönlich austauschen, innovativ denken und queer-feministisch arbeiten können.
Das führt mich direkt zur nächsten Frage: Seit 1996 gehören Sie auch dem European Forum of Lesbian, Gay, Bisexual and Transgender Christian Groups (European Forum) an. Welche Themen beschäftigen Sie derzeit europaweit?
Europaweit ist die Situation für christliche LSBTI schwierig und zum Teil immer noch lebensgefährlich. Vor allem in Ländern, die wie Polen von der römisch-katholischen Sexuallehre geprägt sind oder in Ländern wie Russland, Serbien, Bulgarien und anderen, die von christlich-orthodoxen Traditionen bestimmt werden, haben es queere Gläubige schwer. Sie werden staatlicherseits vielerorts immer noch kriminalisiert und verfolgt. Von christlichen Kirchen kommt kaum Unterstützung. Im Gegenteil. Sie bezeichnen queere Menschen in öffentlichen Ansprachen und Predigten oft als sündig oder krank und prophezeien, dass sie verdammt sind und in die Hölle kommen. Insofern haben wir Schulungs- und Mentoring-Programme entwickelt, um christlich queere Personen aus Osteuropa in ihrem Engagement in religiösen Gemeinschaften zu stärken. Außerdem unterstützen wir sie kirchenpolitisch, indem wir Gesicht zeigen, stellvertretend mit Kirchenleitungen sprechen und andere solidarische Aktionen durchführen. Auch im Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK) sind wir bereits seit zwanzig Jahren aktiv. Gemeinsam mit einer „Global LGBTIQ Alliance“ aus allen fünf Kontinenten sind wir zurzeit dabei, Workshops und sichere Orte am Rande der Vollversammlung des ÖRK in Karlsruhe im September 2022 zu planen und anzubieten.
• Buchhinweis: Kerstin Söderblom: Queer theologische Notizen. Esuberanza Verlag Niederlande, 384 Seiten, 20 Euro.
Kerstin Söderblom ist Pfarrerin der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau, Supervisorin, Coach und Studierendenpfarrerin an der Evangelischen Studierendengemeinde an der Uni in Mainz. Bis 2019 war sie Studienleiterin und Pfarrerin beim Evangelischen Studienwerk in Villigst/Westfalen. Internet: https://kerstin-soederblom.de.
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