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Gemeinsam singen – das muss wahrscheinlich auf längere Sicht noch ein Traum bleiben. Foto: MIA Studio
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Der Traum vom Singen

Kirchenmusik

Aus der Printausgabe - UK 18 / 2020

Anke von Legat | 29. April 2020

Vieles lässt sich in Corona-Zeiten ins Internet verlegen – eine Chorprobe nicht. Wer gern in der Gruppe Musik macht, leidet unter Entzug – allen voran die Kantoren und Kantorinnen.

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Gemeinsam singen – das muss wahrscheinlich auf längere Sicht noch ein Traum bleiben. Foto: MIA Studio

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Chorprobe in Corona-Zeiten? Uwe Rottkamp hat es ausprobiert und ist frustriert. Rottkamp, der nebenamtlich mehrere Chöre im Bereich der Lippischen Landeskirche leitet, hat eine Videokonferenz eingerichtet, in die sich seine Sängerinnen und Sänger live einschalten konnten – und hat festgestellt: So geht das nicht. „Es scheiterte zum großen Teil schon an den viel zu langsamen Internet-Verbindungen“, erzählt er. „Man kann einfach nicht zusammen singen, wenn der Ton mit einer halben Sekunde Verzögerung ankommt.“

So hat Rottkamp nach anderen Möglichkeiten gesucht, mit seinen Chormitgliedern musikalisch in Verbindung zu bleiben: Er hat sich in seinem Band-Raum ein kleines Studio eingerichtet, in dem er die einzelnen Stimmen einspielt und zum Teil mit Playback versieht. Damit will er Online-Workshops anbieten, bei denen die Sängerinnen und Sänger zuhause mit seiner Unterstützung üben können. Mehr ist im Moment nicht drin.

Die Arbeit von Kirchenmusikerinnen und Kirchenmusikern beruht zum größten Teil auf Gemeinschaft – sei es bei Chor- oder Posaunenchorproben, Konzerten oder Gottesdiensten. All das ist im Moment nicht möglich. Wie gehen sie damit um?

Elke Cernysev, Kreiskantorin im Kirchenkreis Recklinghausen, sieht durchaus eine positive Seite: Sie nutzt die „geschenkte“ Zeit, um Notenarchive zu ordnen, viele Briefe und Mails zu schreiben – und einmal so richtig intensiv zu üben. „Manchmal fühlt es sich fast wie ein Studiensemester an“, meint sie.

Aber natürlich ist da auch die Schattenseite der Kontaktsperren: „Ich vermisse ganz besonders das direkte Musizieren mit den Menschen in meinen Chören oder im Chorprojekt, das gemeinsame Gestalten von Gottesdiensten und von Konzerten“, sagt sie. „Wie gerne begeistere ich für die großartigen Werke der Kirchenmusik, mit wieviel Freude begleite ich die Gemeinde an der Orgel!“

All das fällt im Moment weg – trotzdem bleibt jede Menge Arbeit. „Es hat zunächst viel Zeit gekostet, alles abzusagen oder zu verschieben“, erzählt Liesa-Verena Forstbauer, Kreiskantorin des Kirchenkreises Lüdenscheid-Plettenberg. Elke Cernysev hat es ähnlich erlebt: Zu Beginn der Corona-Maßnahmen stand die Hoffnung im Raum, dass einige Aufführungen im kleinen Rahmen vielleicht doch möglich wären – bis nach und nach klar wurde, dass alles abgesagt werden musste. Ein harter Schritt, bedeutet er doch, dass viele Stunden Probenarbeit umsonst waren. Für freiberufliche Musiker kommen zudem Einkommenseinbußen hinzu, die an die Existenz gehen können.

Als kleinen Ersatz nehmen viele Organistinnen und Organisten Orgelvideos fürs Internet auf und gestalten Online-Andachten und -gottesdienste mit. Liesa-Verena Forstbauer hat auch für Beerdigungen vorgesorgt und Lieder eingespielt, die die Angehörigen dann mitsingen können. In anderen Städten, etwa in Bielefeld, sind Trauerfeiern in Friedhofskapellen noch möglich; dort haben die Kirchenmusiker dann eine seltene Möglichkeit, direkt für „Live-Publikum“ zu spielen.

Gleichzeitig bemühen sich die hauptamtlichen Kirchenmusikerinnen und Kirchenmusiker darum, den Kontakt zu den Menschen in ihrem Bereich zu halten und sie beim Musizieren zuhause zu unterstützen. Rundmails mit aufmunternden Grüßen, Informationen und der einen oder anderen extra eingespielten Orgel-Audiodatei werden in vielen Gemeinden verschickt. Liesa-Verena Forstbauer hat einen ihrer Solo-Sänger über Mails „gecoacht“: Er bekam eine Klavierbegleitung eingespielt und zugemailt, mit der er zuhause üben konnte; „dann hat er seinen Gesang dazu aufgenommen und mir gemailt, und ich hab Tipps gegeben zum Weiterüben“ – mühsam zwar, aber besser als nichts.

Wie es weitergeht mit dem gemeinsamen Musizieren, weiß im Moment noch kein Mensch. Der Deutsche Musikrat plädiert dafür, das Musikleben dort wieder zu ermöglichen, wo Hygiene- und Abstandsregeln eingehalten werden können. Chorleiter Uwe Rottkamp sieht das kritisch. „Die Leute kommen ja auch, weil sie sich sehen wollen, reden, etwas Schönes miteinander teilen“, sagt er. Eine Chorprobe, bei der alle zwei Meter Abstand halten, kann er sich schon darum nicht vorstellen. Auch musikalisch hält er davon nichts: „Da entsteht kein Klang, keine Gemeinschaft.“ Zudem möchte er auf keinen Fall seine Chormitglieder gefährden.

Dass das gemeinsame Singen durchaus zu Ansteckungen führen kann, hat die Meldung über die Berliner Domkantorei gezeigt, in der sich zwei Drittel der Sängerinnen und Sänger infiziert hatten – vermutlich bei einer Probe. „Mit so einer Nachricht möchte ich nicht in die Zeitung kommen“, betont Rottkamp.

So bleibt für alle Musikbegeisterten nichts anderes, als über das Internet Kontakt zu halten und gemeinsam darauf zu hoffen, dass die Wissenschaft Mittel gegen das Virus entwickelt. Vermutlich erst dann wird ein gemeinsames Musizieren zur Ehre Gottes wieder möglich sein.

Anders als die im Artikel genannten Chöre probt der Projektchor des Chormusicals "Bethlehem" jeden Dienstag und Freitag online unter: https://www.facebook.com/singenzuhause/?__tn__=%2CdK-R-R&eid=ARAsFWfKy8Ka_afJtgoPE1tdIFPK4M_WX1cDhfSGP2qnTCZ9qzFspOZfv6evYxq42u-N8itspKdWShY2&fref=mentions

Die Proben sind offen für alle, die Lust haben!

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Leser-Kommentare öffnen

GertMudersbach, 1. Mai 2020, 11:04 Uhr


Für grössere Chöre ist es sicher z.Zt. nicht möglich gemeinsam zu Proben. Es gibt aber doch viele hervorragende Chöre, die mit einem "Kleinchor" im Gottesdienst singen könnten. Das die Abstandsregel eingehalten werden kann, haben doch die Fernsehgottesdienste aus Ingelheim vorgemacht.

Gemeindegesang dürfte auch möglich sein -und zwar ohne Maske- wenn die Abstandsregeln konsequent beachtet werden.
Inwieweit Viren sich beim Gesang dann verteilen, wäre vielleicht in einem Versuch durch Messungen zu ermitteln.
Leider lese ich immer nur, es könnte ja vielleicht zu Virenübertragungen kommen. Ein Beweis fehlt bislang.
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Schallblech, 1. Mai 2020, 11:38 Uhr


Beim Singen werden durch das aktive Ausatmen mit offenem Mund neben Tröpfchen sehr viele Aerosole produziert, genauso beim Spielen von Blasinstrumenten, genauso beim Joggen oder anderen anstrengenden Tätigkeiten. Aerosole fliegen ein Vielfaches weiter als Tröpfchen. Auch sie können Viren enthalten. Der Abstand von 2 Metern reicht da eben nicht, es müßten ungefähr 5 Meter sein. Aerosole sind sehr fein und werden von den Gebrauchsmasken nicht zurückgehalten. Deshalb ist von Chor- und Gemeindegesang dringend abzuraten, mit und noch mehr ohne Maske, genauso von Blasinstrumenten. Solovortrag ist bei deutlich mehr Abstand als 2m möglich. Deshalb müssen Sänger und (Posaunenchor-)Bläser leider erstmal verzichten und sich auf häusliches Üben beschränken - oder am Balkonsingen teilnehmen!
In Freiburg haben Musikmediziner dazu etwas zu sagen:
https://www.mh-freiburg.de/hochschule/covid-19-corona/risikoeinschaetzung/

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Matthäus53, 1. Mai 2020, 12:40 Uhr


Reden, Sprechen und besonders das Singen sind Grundrechte von uns allen und wer das Singen in unseren Kirchen verbietet beschränkt ein großes Stückchen unserer Persönlichkeitsrechte, des Glaubens und der freien Meinungsäußerung ( Art 1, 2 ,4 und 5 des GG) . Das Singen dient sogar dem Wohlbefinden und ob vom Singen eine viruelle Gefahr ausgeht ist eher die alleinige Meinung oder eine sehr theoretische abstrakte Gefahr um den Kirchen weiterhin das Leben zu erschweren und aufzuzeigen, wer im Staat die Macht ausübt !
Ein Arzt aus Trier, vertrat zu Beginn der Corona Krise seine Meinung in einem Leserbrief des "Volksfreunds" indem er u.a. schrieb"Ab sofort müßten in allen öffentl. Räumen wie Bahnsteigen, Fußgängerzonen u. Taxis auch das RAUCHEN untersagt werden, weil durch die ausgeatmeten Rauchgase auch die Viren verbreitet werden können." Darauf ist aber noch kein örtl. Gesundheitsamt oder auch nicht das RKI angesprungen.
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Schallblech, 1. Mai 2020, 15:32 Uhr


Es gibt wichtigere Grundrechte, die momentan eingeschränkt sind und es auch erstmal bleiben müssen. Ich hätte nie gedacht, daß ich einmal sowas sagen würde, aber die Gründe überzeugen mich.
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