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Ach, wie toll ist so eine Mauer: Ohne Abgrenzungen und Schutzwälle kann der Mensch nicht. Trotzdem ist es ratsam, auch mal einen Blick auf die andere Seite zu riskieren. Foto: TSEW

Komm doch mal rüber

Gesellschaft

Aus der Printausgabe - UK 45 / 2019

Gerd-Matthias Hoeffchen | 5. November 2019

Seit jeher schützt der Mensch sich durch Mauern. Das hat sich bewährt. Aber man sollte immer wieder überprüfen, welche dieser Mauern noch hilfreich sind – oder Leben blockieren

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Ach, wie toll ist so eine Mauer: Ohne Abgrenzungen und Schutzwälle kann der Mensch nicht. Trotzdem ist es ratsam, auch mal einen Blick auf die andere Seite zu riskieren. Foto: TSEW

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Am Anfang suchte sich der Mensch eine Höhle. Später stellte er ein Zelt auf. Dann kam die Hütte. Und schließlich baute er sich ein Haus aus Stein.
Wenn sich der Mensch schützen will, spielen Mauern eine entscheidende Rolle. Wind und Regen sollen draußen bleiben. Aber auch wilde Tiere. Und der Feind. Stadtmauern und Grenzwälle legen davon Zeugnis ab.

Mauern sind Grenzen. Sie teilen ein: Davor – dahinter. Wir –die anderen. Mauern definieren. In diesem Wort steckt das lateinische „finis“, Grenze. Wer definiert, grenzt die Wirklichkeit immer weiter ein, bis am Ende ein klarer und eindeutiger Begriff steht: die Definition. So ist es auch bei Mauern. Sie schützen nicht nur, sie helfen auch, durch Abgrenzung die Welt einzuteilen, Identität zu schaffen; eine Vorstellung davon, wer, wo und was wir sind: Das dort ist der Bauernhof Grünfeld. Die Stadt Saarbrücken. Oder das Land Dänemark.

Mauern sind notwendig. Und gefährlich. Denn sie engen auch ein. Verhindern. Die DDR war ein Paradebeispiel dafür. Oder Nord- und Südkorea. In dem Glauben, sich vor dem Anderen schützen zu müssen, sperrt man sich selbst ein – und damit auch Wünsche, Sehnsüchte, die Chance auf Weiterentwicklung.

Mauern in Herzen und Köpfen können Menschen blockieren. Wenn in diesen Tagen an Universitäten Ideologen Vorlesungen stürmen. Wenn in Deutschland 81 Jahre nach der Reichspogromnacht noch immer bis zu 25 Prozent der Bevölkerung für antisemitische Gedanken anfällig sind. Wenn Flüchtlinge als Schmarotzer angesehen werden. Aber auch, wenn jeder Versuch, über ein Einwanderungsgesetz zu diskutieren, von vornherein niedergeschrieen wird. Dann schützen Mauern nicht mehr; sie verhindern ein gutes Leben.

Noch einmal: Mauern sind notwendig. Im übertragenen Sinn – weil sie uns helfen zu verstehen, wer wir sind. Und ganz handfest: Man denke nur an eine Quarantäne-Station im Krankenhaus oder an die Deiche, die das Land vor der Sturmflut schützen.
Aber Mauern sind immer auch ein Zeichen der Angst. Und Angst ist auf Dauer keine gesunde Lebensgrundlage.

Was also tun? Es wird nicht funktionieren, gleich alle Mauern einreißen zu wollen. Aber: mal etwas wagen. Auf die Mauer emporklettern. Mal hinüberschauen. Oder auch mal eine Stippvisite auf die andere Seite machen – das kann ein guter Anfang sein.

Davon erzählt Harald Bretschneider. Der ehemalige sächsische Landesjugendpfarrer und Begründer der Aktion „Schwerter zu Pflugscharen“ hat mitgewirkt, eine Mauer zum Einsturz zu bringen. Sein Fazit: Es war vieles, was vor 30 Jahren die DDR-Mauer niederriss. Aber nichts wäre passiert ohne dieses Eine: Dialog. Aufeinander zugehen. Miteinander reden.

Wie gesagt: Mauern gehören zum Grundgerüst des Lebens. Aber ein System, das nur noch aus Mauern besteht – das nennt man Labyrinth. Dort droht das Leben in die Irre zu gehen.

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Leser-Kommentare öffnen

Matthäus53, 6. November 2019, 13:14 Uhr


Aber auch MAUERN in Form von Büchern und Glauben wie BIBEL und Koran, Christen und Muslime müssen überwunden werden indem Gespräche und Kritiken an den jeweils Anderen grundsätzlich unter Achtung zulässig sein müssen, ohne daß gleich Hass von und auf den anderen gepredigt wird !
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Schallblech, 7. November 2019, 9:24 Uhr


Da stimme ich Matthäus vollkommen zu, wobei ich das Gespräch miteinander der Kritik aneinander vorziehe. Wichtig sind gegenseitige Achtung und Respekt.
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Alwite, 7. November 2019, 9:55 Uhr


Alle Mauern sind auch mit Pforten versehen, sie aufzuklinken und zu schauen ob wir willkommen sind, ist immer mit Überwindung verbunden, fassen wir den Mut dies zu tun und öffnen die eigenen damit wir miteinander ins Gespräch kommen.
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